19.11.08

Philipp Seidel

Wir haben einen Pilz

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»Wir haben einen Pilz« gesprochen von Philipp Seidel.
(Bitte beachten Sie unseren Rechtevorbehalt).

In der eigentlich halbwegs aufgeräumten Münchner Wohngemeinschaft der Herren K. und S. ist ein Pilz aufgetaucht. Im Badezimmer. Über Nacht. Haben Sie auch schon mal gehabt? Nein, haben Sie nicht. Wir sprechen hier nicht von einer langweiligen Ansammlung schwarzer Sprenkel zwischen den Badezimmerfliesen. Die ist in jedem guten Haushalt zu finden und keiner Erwähnung wert. Wir sprechen hier von einem veritablen Pilz mit Stiel und Hut.

Es begann mit einer Kurznachricht, die Herrn S. eines Tages auf Reisen erreichte. Man müsse, schrieb darin sein Mitbewohner Herr K., man müsse wohl mal etwas unternehmen: Im Bad wachse ein Pilz. Herr S. dachte freilich an einen Scherz, wie er Herrn K. nicht selten einfiel. Vielleicht war ihm langweilig? War vielleicht der Fernseher kaputt? Oder lief gerade Werbung?

Dann aber fiel Herr S. in eine solide Ohnmacht, als er nach seiner Rückkehr am Abend den Riesenprügel von Pilz am Ende der Badewanne stehen sah. Seit an Seit und jederzeit bereit zur Flucht schoben sich die Herren an den Pilz heran.

»Ob der essbar ist?«, fragte Herr K. sogleich pragmatisch. Er machte sich auf die Suche im Internet, fand auch einen essbaren Pilz, der dem Badezimmerpilz ähnlich sah. Aber war die Ähnlichkeit groß genug, um dafür seine Gesundheit zu riskieren? Der Pilz blieb unverzehrt.

Foto (Pilz)

Veritabler Pilz

Foto von Philipp Seidel

In der folgenden Nacht wuchs er noch einmal beträchtlich. Stolz blähte sich am nächsten Morgen sein Hut in der warmen Luft des Raumes, trotzig stand der Fuß zwischen den Kacheln verankert. Es war wie in dem Film »Der kleine Horrorladen«. Der handelt von einer fleischfressenden Pflanze, die aus dem Weltraum auf die Erde kommt, immer größer wird und bald nach Blut verlangt. Rick Moranis als Blumenladenmann Seymour hat bald arge Probleme, den hungrigen Gast zu sättigen.

»Aber unser Pilz will kein Blut«, sagte Herr S. überzeugt und fügte zagend hinzu: »Oder?« – »Nein«, sagte beruhigend Herr K. und duschte auswärts. Herr S. kannte niemanden auswärts. Er duschte also im Angesicht des Pilzes, in die äußerste Ecke der Wanne gedrängt wie ein Lamm an den Baum, wenn es regnet und die Wolle nicht nass werden soll. Und wie Herr S. den mächtigen Pilz so stehen sah, da schämte er sich seiner Nacktheit und wandte sich ab.

Wer nie mit einem kalbskopfgroßen Pilz im Rücken geduscht hat, kann nicht verstehen, wie Herr S. sich fühlte.