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»Ich war Dipsy – Aus den Memoiren eines Ex-Teletubbies« vorgetragen von Philipp Seidel
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12.03.01

Philipp Seidel

Ich war Dipsy – Aus den Memoiren eines Ex-Teletubbies

Ich bin froh, daß es vorbei ist. Wenn ich heute zurückdenke, kann ich mich nur wundern, wie ich es so lange ausgehalten habe. Aber immer, wenn ich die Schnauze voll hatte, fingen die anderen an, mir zu schmeicheln: "Die Rolle spielt keiner so gut wie Du, Dip." Sie nannten mich immer Dip; niemand hat mich je mit meinem richtigen Namen angeredet: Sebastian Finkel. Irgendwann habe ich angefangen, meine alte Existenz zu leugnen, habe Mietverträge und Briefe nur noch mit "Dipsy" unterschrieben. Das ging zwei, drei Jahre so, bis ich ausgestiegen bin. Dazu kamen die Lollies und der Milchbrei, der dir das Köpfchen weich macht. Aber es war der einzige Weg, den Tag zu überstehen.

Irgendwann hat dann Laa-Laa Schluss gemacht. Auch hinter den Kulissen wollte sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Wir hatten uns auseinandergelebt. Ich hätte es schon merken können, als sie auf dem Jahrmarkt immer häufiger zu gebrannten Erdnüssen griff als zu Liebesäpfeln, unserer gemeinsamen Lieblingsspeise. Die hatten wir sonst immer heimlich hinterm Windrad genascht. Jedenfalls: Da wußte ich: Wenn ich jetzt nicht aufhöre, komme ich nie wieder auf die Beine. Als ich einen klaren Moment hatte, bin ich dann nach Drehschluss ins "Tubbie's", dem Treffpunkt in der Stadt. Die anderen hingen auf den Schaukelpferdchen und waren völlig weggetreten von der Bananenmilch mit Schokostreuseln. Laa-Laas Propellermützchen hing ihr schräg ins Gesicht. Ich glaube, sie merkte es nicht einmal mehr. Po raste wie von Sinnen auf dem Karussell, natürlich auf dem Elefanten. Er würde sich nie ändern. Schon Jahre vorher hätten wir uns beinahe aufgelöst, als Tinky-Winky mal den Elefanten wollte. Da hat es bei Po ausgehakt. Schlimme Geschichte.

Na ja, alle waren so in ihrem Trott gefangen, daß sie gar nicht mehr merkten, was für ein abscheuliches Leben sie führten. Tinky-Winky war gerade auf dem Töpfchen, kein Wunder, bei den Unmengen von Milupa, die er in sich hineinstopfte. Fett waren wir geworden. Kohle ohne Ende, Gummibärchen, bis wir nicht mehr konnten. Aber ich wollte ausbrechen, den alten Rhythmus ändern und wieder von vorne anfangen. Als ich ihnen ihre Apathie vorwarf, hörten sie gar nicht hin. Laa-Laa drehte an ihrem Propeller und sah mich gelangweilt an. "Das ist unsere Welt. Die Welt da draußen ist nicht unsere Welt." Und wie immer wiederholte der Sprecher aus dem Off alles: "Das ist unsere Welt. Die Welt da draußen ist nicht unsere Welt." Er war nie in der Lage gewesen, eigene Gedanken zu formulieren. Nie hat er über irgendetwas nachgedacht. Ich schlug ihm die Rassel und das Mikrofon aus den Händen. Noch heute habe ich sein überraschtes "Oh-oh" in den Ohren, als die Tür zum letzten Mal hinter mir zufiel.

Dann kam die schwere Zeit. Der Neuanfang. Der Versuch, vom Grießbrei wegzukommen, Ein paar Stunden ging das gut, klar. Aber dann fing das Bäuchlein wieder an zu knurren. Also wärmte ich mir ein Löffelchen an und schob mir wieder eine Ladung in den Mund. Erst als ich Erika kennen lernte, konnte ich mich langsam vom ausschweifenden Tubbie-Lebenssstil lösen. Aber ich kann bis heute nicht ohne Kostüm auf die Straße gehen. Ich habe es mal nur mit Sonnenbrille und Strohhut versucht, aber es geht nicht. Sobald ich bei Aldi auftauche, zeigen Männer und Frauen auf mich. Und das haben sie schon von Kindesbeinen an getan. Von vielen habe ich noch Kinderfotos aus Tubbie-Tagen; die haben uns ja eingedeckt mit ihren Fotos. Heute sind sie Bankdirektoren und Vorstandsvorsitzende. Aber immer noch dieses Anschmeicheln. Das war vielleicht das Schlimmste am Tubbie-Sein: die Asexualität. Männer und Frauen bestürmen dich gleichermaßen, und du kommst ständig in Erklärungsnöte.

Wir haben vieles falsch gemacht damals. Davon zeugen die Briefe. Traurige Kinder fragten in Krakelschrift, warum ihr Papa keinen Grashügelbungalow mit Windrad hat. Besorgte Teenager schrieben, sie hätten seit einiger Zeit Haare unter den Armen, aber ihnen wachse immer noch kein Fell. Und "da unten, Ihr wisst schon, da am Bauch, da ist noch kein Bildschirm. Bin ich nicht normal?"

Und an allem sind wir Schuld. Po, Tinky-Winky und Laa-Laa wollen das nur nicht wahrhaben. Die touren inzwischen als Tub-Group "PoTiLa" um die Welt und brechen die Herzen derer, die nicht stark genug sind. Die es nicht besser wissen.

Ich bin froh, dass ich den Absprung geschafft habe. Es war auch höchste Zeit, hat mir der Arzt gesagt. Rheuma vom ewigen Windrad hinterm Haus, ständig Fusseln vom Kostüm im Mund. Und dann die Allergien von der Kunstkulisse. Das hat jetzt ein Ende. Ich habe meine Lektion gelernt. Aber auch ich habe auch einen hohen Preis dafür gezahlt. Ich glaube, ich genehmige mir jetzt noch einen Zwieback, schön dick mit Heringsfilet drauf. Wird nicht der letzte sein heute.