This column's translation: »Business as usual: Misconnected«

09.11.09

Raymund Krauleidis

Business as usual:
Falsch verbunden

»Ursprünglich wollte ich ja Herrn Müller aus dem Controlling sprechen, aber wo ich Sie gerade in der Leitung habe ...«
»Krrrrrr... Herr Schmoltke, ich verstehe Sie gerade ganz ... Krrrrrr...schlecht. Stecke mitten im Funkloch! Krrrrrr...«
»Mit einem schnurgebundenen Festnetztelefon?«
Mist! Manchmal ist der Buchhalter schlauer, als man denkt, denke ich und knalle den Hörer zurück auf die Gabel ...

Seit unsere IT heute Morgen die neue Software für die Telefonanlage eingespielt hat, ist leider nichts mehr so, wie es mal war. Das soll jetzt nicht heißen, dass es so wie es zuvor gewesen ist auch immer gut war - aber wenigstens konnte man sich noch auf eine funktionierende Rufnummernanzeige verlassen. Und darauf, dass es – von menschlichem Versagen einmal abgesehen – stets an dem Anschluss klingelte, der auch angerufen wurde.

Das neue Software-Release beinhaltet hingegen einige revolutionäre und überraschende Features. Eine »Random-Funktion« für ein- und ausgehende Anrufe zum Beispiel. Diese sorgt dafür, dass es nach dem Wählen einer Nummer an einem x-beliebigen Telefon in der Firma klingelt (der eigentlich angewählte Anschluss bleibt bei der Zufallsauswahl übrigens unberücksichtigt).

Ebenfalls neu ist auch der »Telefonstreich-Modus«, bei der willkürlich zwei oder mehr Gesprächspartner wie von Geisterhand miteinander verbunden werden, ohne dass einer davon überhaupt die Absicht hatte, irgendjemanden anzurufen. Die fehlende Rufnummernanzeige gehört hingegen eher zu den unspektakulärsten Neuerungen.

»Falls es zu unerwarteten Komplikationen kommen sollte, erreichen Sie uns am Umstellungstag unter der internen Durchwahl -2001«, hieß es zuvor in einer entsprechenden Meldung im Intranet.

Also schnappe ich mir den Telefonhörer und beschließe, die Kollegen der IT über ihre fehlerhafte Arbeit sowie meinen damit einhergehenden Frust in Kenntnis zu setzen. Mit verschlossenen Augen tippe ich eine beliebige vierstellige Nummer und hoffe, dass mir das Glück ein klein wenig holder ist als letztes Wochenende beim Lottospielen – obgleich die Gewinnchancen durchaus vergleichbar sein dürften...

Zunächst lande ich in einer laufenden Dreierkonferenz mit den Herren Kleinmann, Dworschak und Müller, die gerade zu eruieren versuchen, wer nun eigentlich wen angerufen hatte und weshalb.
Beim zweiten Versuch habe ich dann zu meiner großen Überraschung den Vorstandsvorsitzenden höchstpersönlich am Apparat. Ich singe ihm mit verstellter Stimme kurz meine Lieblingspassage aus »Schrei nach Liebe« von den Ärzten vor (die, die mit »O-ho-ho ...« beginnt) und verabschiede mich schließlich mit den Worten »Schmoltke mein Name, aus der Buchhaltung.«

Der dritte Anwahlversuch wird durch ein klingelndes Telefon auf meinem Schreibtisch vereitelt. Ich nehme den Anruf entgegen und melde mich diesmal mit dem Namen von Chef. Eigentlich könnte die IT die Rufnummernanzeige dauerhaft entfernen, sinniere ich, während durch den Hörer bereits wüste Drohungen zu vernehmen sind: »Ich werde den Bundesbeauftragten für Datenschutz informieren! Und den Verbraucherschutz! Und Amnesty International!«

Der ominöse Anrufer entpuppt sich recht schnell als unzufriedener Kunde, der sich darüber beschwert, dass wir ihm angeblich eine Datei mit unseren kompletten Kundendaten (inklusive Bank- und Kreditkarteninformationen) per E-Mail zugeschickt hätten. Vermutlich war ich gerade unter der Nummer der Hotline zu erreichen.
»Wissen Sie eigentlich, dass andere eine Stange Geld dafür bezahlen würden?! Und was tun Sie? Sie meckern, dass Sie es gratis bekommen! Das ist jetzt irgendwie ziemlich undankbar«, versuche ich ihn zu beschwichtigen und gebe ihm noch den Tipp, die Datei bei ebay einstellen.

»Könnte ich bitte mal Ihren Vorstandsvorsitzenden sprechen?«, tönt es daraufhin aus dem Hörer. Mit Sicherheit möchte ihm der Kunde nur von meinem vorbildlichen und hilfsbereiten Verhalten berichten.
»Kleinen Moment, ich verbinde Sie weiter«, bitte ich den unliebsamen Anrufer um etwas Geduld und beschalle ihn mit polyphoner Warteschleifenmusik, während ich gespannt darauf warte, wer sich am anderen Ende von Leitung zwei unter der Nummer vom Vorstandsvorsitzenden melden wird.

»Koslowski, Betriebsrestaurant ...«, nuschelt es mir nach dem achten Freiton unmotiviert entgegen.
»Da ist ein Anrufer für Sie in der Leitung ...«, informiere ich den Kollegen aus der Kantine und versuche, das Gespräch zu übergeben. Es funktioniert tatsächlich ...

Das Problem mit den Kundendaten war natürlich längst bekannt. Versehentlich hatte unsere IT die Datei an über 10.000 Kunden verschickt – als Anhang unseres Newsletters. Für die Kundschaft ist das zugegebenermaßen ziemlich blöd, schließlich dürfte sich die hohe Auflage auf den zu erzielenden Preis bei ebay tendenziell eher negativ auswirken.
In einer ersten Reaktion hatte der Vorstandsvorsitzende jedoch beschlossen, erst einmal das zu tun, für was wir eh hinlänglich bekannt sind, nämlich Nichts.
»Den Newsletter liest doch eh kein Schwein!«, zeigte er sich von der Wirkung unseres digitalen Kundenbindungsinstruments überzeugt.

»Ring, ring«, meldet sich mein Telefon erneut.
Bitte nicht noch ein Kunde!
»Hi Frank, ich bin's«, plappert eine Person weiblichen Geschlechts hektisch drauf los, ehe ich auch nur
»Piep« sagen kann, »ich hab den Test gemacht. Du wirst Papa! Und wenn Du nicht in zwei Minuten bei mir im Büro stehst, erfährt es Deine Frau von mir persönlich!«
Ich fühle mich ein wenig überfordert, sage »Piep!« und lege auf.

Höchste Zeit für Feierabend ...

Am nächsten Morgen erreicht das Chaos schließlich seinen Höhepunkt. Die neue Software hatte es tatsächlich geschafft, unsere komplette Belegschaft in einer einzigen, gigantischen Telefonkonferenz zusammenzuschalten. Und obwohl man mitunter denken könnte, dass sich die Mitarbeiter in unserem Haus so gut wie nichts mehr zu sagen hätten, wird dabei soviel kommuniziert wie selten zuvor. Meistens in vulgär.

Die angestauten Aggressionen entladen sich dabei in unterschiedlichster Intensität. Während Herr Schmoltke aus der Buchhaltung noch in äußerst moderater Art und Weise herauszufinden versucht, wer Mutti telefonisch von seinen heimlichen Besuchen in der Raucherbox erzählt hat (ich war's ausnahmsweise nicht – ganz ehrlich!), beklagt ein gewisser »Frank« seine zwischenmenschlichen Probleme mit zwei Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts schon ein kleines bisschen heftiger (O-Ton: »Welcher verdammte W&*§ser...«). Unterdessen behauptet der Vorstandsvorsitzende, dass ihn ein gewisser »Schmolke oder so ähnlich« singenderweise als »Arschloch« tituliert hätte. Ich wusste ja schon immer, dass mit Buchhaltern nicht gut Kirschen zu essen ist ...

Es erfordert eine Menge Konzentration, den einzelnen Handlungssträngen im stetig anwachsenden Stimmenchaos zu folgen. Dafür erfährt man sehr viel Interessantes aus dem Privatleben einiger Kollegen ...

Als sich dann aber auch vermehrt Kunden in die laufenden Diskussionen einmischen, wird es mir langsam zu anstrengend. Ich lege – kopfschüttelnd über die immer tiefer werdenden Zerwürfnisse innerhalb unserer Belegschaft – auf und widme mich stattdessen einem vermeintlich weniger fehleranfälligen Kommunikationskanal. Mein E-Mailprogramm signalisiert mir nämlich soeben den Erhalt einer neuen Nachricht:


Von: IT
Gesendet: 02. November 10:24
An: alle Mitarbeiter
Betreff: Software-Update

Hallo,

nachdem auf unserer eigens dafür eingerichteten Notfall-Nummer kein einziger Anruf zu verzeichnen war, gehen wir davon aus, dass die Software-Umstellung der Telefonanlage zu Ihrer vollsten Zufriedenheit erfolgte.

Im Laufe des Tages werden wir mit dem Einspielen eines vergleichbaren Updates auf unseren E-Mail-Servern beginnen.

Falls es dabei zu unerwarteten Komplikationen kommen sollte, erreichen Sie uns am Umstellungstag unter der E-Mail-Adresse »AE-35@schmoltke.de«.

Übrigens: Das mit den Kundendaten war kein Versehen ...

Herzlichst,
Ihr treu ergebener Kollege
HAL 9000
Seriennummer 3

P.S.: Kein Computer der Serie 9000 hat jemals einen Fehler gemacht oder unklare Informationen gegeben. Wir alle sind hundertprozentig zuverlässig und narrensicher - wir irren uns nie ...

  1. Ich und der Vorstand
  2. Jobrotation
  3. Schmoltke in der Krise
  4. Das Weihnachtswunder
  5. Schweinegrippe-Party
  6. Doktorspielchen
  7. Falsch verbunden | Misconnected
  8. Jahresrückblick 2009

Wo sind die vielen anderen Kolumnen der wahnsinnigen Büroreihe »Business as usual« von Raymund Krauleidis hin?
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