Diese Kolumne lässt sich auch hören!

»Live aus dem Konklave« vorgetragen von Tom Wendt
(Bitte beachten Sie unseren Rechtevorbehalt).

10.04.05

Tobias Kaufmann

Live aus dem Konklave

Es heißt das Konklave, nicht die Konklave. Jaha! Latein ist nun mal so, unschön, aber das schöne ist, dass ausgiebiger Konsum der TV-Berichterstattung rund um das Ableben des Papstes ausreichte, um jetzt den klassischen Bildungsbürger raushängen lassen zu können. Wir sind neuerdings mit den Riten, Gesetzen und Begriffen der katholischen Kirche tief vertraut. Journalistenkollegen, die kaum älter sind als ich, raunen Wörter wie »Gemächer« vor sich hin, wo sie früher einfach »Zimmer« gesagt hätten. An Gott glaubt sie zwar nicht mehr, die Lidl-Republik, aber wenn's heilig klingt, kriegt sie eine Gänsehaut. Pon-ti-fi-kat. Huuuuuh! Selbst die radikal-islamischen Taliban in Afghanistan wollten auf Kosten des Verstorbenen ein paar Imagepunkte machen. Sie haben den Tod von Papst Johannes Paul II. bedauert und von einem »spirituellen Verlust« für die Katholiken gesprochen. Und die Jugend erst, die Jugend! Sie lag dem Papst (hier nach belieben Insider-Synonyme einfügen: Pontifex, Heiliger Vater, Karol Wojtyla) zu Füßen – ach was, sie warf sich vor ihm in die Pfützen, auf dass kein Wasser seinen Fuß netze, wenn ich der Berichterstattung glauben darf. Ich habe zwar in meinem ganzen Leben noch nie einen jungen Menschen kennengelernt, dem der Papst (egal, welcher) ein Fixstern am persönlichen Firmament gewesen wäre, aber ich kenne vielleicht einfach die falschen Leute. Die ganz, ganz l-a-n-g-s-a-m sprechende Frau auf Phoenix sagt: »Die Jugend liebte diesen Papst!« Faszinierend finde ich daran vor allem: wie hat der Mann das bloß geschafft, dass er in den Augen der Medien in Windeseile vom reaktionären Hardliner zum »Papst für die Ewigkeit« (Bunte-Extra) geworden ist? Das Phänomen ist ganz einfach zu erklären und nachzuahmen – dies als Tipp an andere Herren mit Imageproblemen, wie Bush, Wolfowitz oder Berlusconi. Man muss nur gegen den Irakkrieg sein, wenn alle gegen den Irakkrieg sind. Und man muss sterben, wenn alle Kameras laufen. Dass mein lieber Kollege Hannes Stein der Meinung ist, beides sei ihm ein zu hoher Preis für ein besseres Bild in der Öffentlichkeit, beweist nur, dass er keine Ahnung davon hat, wie es ist, unter dem Druck dieser Öffentlichkeit zu stehen, als Stellvertreter Jesu Christi auf Erden – der Daumenschrauben als Machtmittel beraubt, aber mit dem gnadenlosen Zwang zur Folklore, weil immer weniger Menschen Kirchensteuer zahlen und trotzdem immer mehr Klatsch und Tratsch über einen alten Mann in einem weißen Kleid erfahren wollen.

Zur Folklore gehört, dass in den letzten Tagen jede Zeitung maßstabsgetreue Lagepläne des Vatikan veröffentlicht hat, auf denen alle wichtigen Gebäude – Sixtinische Kapelle, Apostolisches Dingsdabumms, »Gemächer« des Papstes – verzeichnet und ausführlich erklärt sind, dazu ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen. Jedes Schulkind sollte inzwischen im Schlaf das geheimnisumwitterte Verfahren erklären können, mit dem eine Hundertschaft mehr oder weniger frischer Herren in der Sixtinischen Kapelle einen neuen Papst wählt. Vier geheime Wahlgänge am Tag, zwei vormittags, zwei nachmittags, Unterbrechung nach drei Tagen, wieder sieben Wahlgänge, ein Tag Pause, sieben Wahlgänge, ein Tag Pause, sieben Wahlgänge... In Kiel ist Heide Simonis bei der Zeitungslektüre sicher das Brötchen aus der Hand gefallen. »So viele Wahlgänge? Da könnte ich ja nochmal... Wie viele Abgeordnete hat eigentlich der Südschleswigsche Wählerverband in der Sixtinischen Kapelle?«

Keine Sorge, Frauen sind zur Wahl nicht zugelassen. Ist jemandem aufgefallen, dass sich über diese Tatsache in den letzten Tagen verdächtig wenige Leute aufgeregt haben? Selbst Antje Vollmer hat im Fernsehen den Papst für seinen Mut gelobt, gegen den Irakkrieg zu sein – obwohl die USA daraufhin, laut Vollmer, zur Strafe Polen zur »Spitzenbesatzungsmacht« befördert und hinterhältige Phädophilie-Verfahren gegen die Kirche angestrengt haben! Darüber haben die Grünen doch ganz vergessen, für das nächste Pontifikat ultimativ eine schwarze, lesbische Frau aus dem Osten zu fordern. Vielleicht hatte der Friedenspapst sogar Recht damit, sich gegen Frauen als Priester zu wehren – schließlich haben die zu heiligen Themen absolut nichts Gescheites beizutragen.

Süße jedenfalls fällt in den letzten Tagen nur durch dumme Sprüche auf. »Stell dir vor, Kölns Kardinal Meisner steht mitten in der Auszählung auf und ruft einmal laut ›Bingo!‹ – fliegt er dann raus?« Mein erster Gedanke: Ich bin mit dem Teufel verheiratet! Vielleicht hat Süße aber auch nur den Finger in die Wunde der Papstfestwochen gelegt: die wirklich interessanten Fragen bleiben unbeantwortet.

Wir wissen, dass die Kippa der Kardinäle Pileolus heißt und rot ist, aber wir wissen nicht, ob sie in der sicher saukalten Kirche unter der Soutane lange Angoraunterhosen tragen. Lassen sich die ehrwürdigen Herren solange ihre Bärte wachsen, bis es einen neuen Papst gibt, so wie die Eishockeyspieler es zur Zeit in den Playoffs tun, solange, bis das eigene Team rausgeflogen ist? Wenn die Kardinäle den Namen ihres Favoriten auf einen Zettel kritzeln – dürfen sie sich zum Nachbarn rüberbeugen und fragen: »Wie schreibt sich nochmal dein Name, Bruder?« Oder ist das Zeremoniell so streng, dass die Herren ihre Schultaschen zwischen sich auf die Tische stellen müssen, damit keiner abguckt? Ist in der Kapelle Fotografieren oder gar Filmen zur persönlichen Erinnerung erlaubt? Schließlich macht ein Kardinal ja nicht so viele Papstwahlen in seinem Leben mit, und ein Diaabend in der Heimatgemeinde zöge bestimmt mehr junge Leute an als ein gewöhnlicher Gottesdienst mit Abendmahl (»Seht mal, und da wirft Kardinal Schönborn gerade ein Radiergummi in den Kamin, um den Rauch schön schwarz zu machen«). Und schließlich: muss Kardinal Meisner von draußen die Türklinke der Kapelle runterdrücken, nachdem Kardinal Ratzinger ihn fürs Bingo-Rufen rausgeschmissen hat? In diesem Sinne, Kollegen, lüftet die letzten Geheimnisse des Vatikan!