11.03.11

Till Frommann

Leeres Blatt.

Dies ist die Aufzeichnung einer Livekolumne. Ich habe diesen Text bei Facebook eingetippt, Reaktionen von Lesern inklusive. Ich hatte keine Ahnung, wohin mich meine Gedanken führen würden – ich wusste nur, dass Alkohol dafür nicht sehr förderlich war.

20:29
Leeres Blatt.

20:32
Eels als Hintergrundbeschallung. Da kann dann ja nur depressiver Scheiß rauskommen.

20:35
Ich habe weder eine Idee, worüber ich schreiben könnte, noch den Elan, mich geistig großartig anzustrengen. Aber was bleibt einem? Man könnte über die Vergangenheit schreiben und sich darüber aufregen, wie sehr man wieder mal alles, alles, alles falsch gemacht hat.

20:35

http://www.youtube.com/watch?v=V8vINCq_IAI jetzt besser?

20:36
Oder über die Zukunft. Oder Über Zirkusbesuche, die man nicht lustig fand. Andererseits bin ich niemand, der Angst vor Clowns hatte, nicht einmal, nachdem ich »Es« von Stephen King gelesen habe.

20:37
Man sollte mehr über sich in der ersten Person Singular schreiben. Man sollte sich nicht distanzieren von sich sich. Man sollte mutiger sein. Bei allem.

20:40
Man gießt sich das erste Glas Wein ein und hofft, dass man nach dem fünften Glas niemanden anpöbelt.

20:41
Man wird daran erinnert, dass das hier unorigineller Scheiß sein könnte.

20:41

Man sollte vielleicht rausgehen unter Leute und ein Bier trinken. Oder zwei. Oder fünf.

20:41

http://www.youtube.com/watch?v=ZhBd6CfECBU

20:41
Man denkt darüber nach. Möchte man heute noch Menschen sehen – noch dazu vielleicht Fremde?

20:43
Der Cocooner ist mit Katzen groß geworden, und weil er an einer stark befahrenen Straße groß geworden ist, ist er – den Umständen entsprechend – mit sehr vielen Katzen groß geworden.

20:45
Autos und Katzen vertragen sich nicht besonders, und wie das im Leben so ist, gewinnt auch in solchen Fällen fast immer der Stärkere.

20:47
Ich sollte mich nicht davon distanzieren, was ich gemacht habe und auch nicht davon, was ich machen werde. Manchmal macht man den allergrößten, miesesten Mist, den es gibt und manchmal die genialsten Dinge, die noch nie jemand zuvor getan hat.

20:47
Und auch zu der größten Scheiße muss man stehen. Ja, das war ich. Gut, was?

20:49
Wo fängt mein Klischee an, und wo bin ich wirklich ich?

20:53
Bevor ich in pseudophilosophischen Tümpeln wate, trinke ich lieber noch ein Glas Wein.

20:55
Vielleicht sollte ich einfach bloß fernsehen. Irgendwas Seichtes konsumieren. Was lesen. Einen Pullover stricken. Die Klappe halten. Nicht alles noch schlimmer machen.

20:57
Ich rede sowieso viel zu viel . Reden ist silber, schweigen ist ... ach, scheiß drauf. Noch sind meine Worte nicht verbraucht.

20:58

ist doch schonmal ein guter anfang: Wo fängt mein Klischee an, und wo bin ich wirklich ich? Bevor ich in pseudophilosophischen Tümpeln wate, trinke ich lieber noch ein Glas Wein.

20:59
Zweites Glas. Tempo steigern.

21:03
»Climbing up to the moon«, singt Mark Oliver Everett aus meinen billigen Lautsprechern.

21:06
Und: »Look at all the people like cows in a herd / Well I like birds«

21:07
Und: »Now you're really giving everything / And you're really getting all you gave / Now you're really living what / This life is all about«

21:08
Zitat an Zitat an Zitat. Situation an Situation an Situation. Das ist eigentlich alles. So ist das Leben. Und die Hautpsache ist doch, dass man irgend etwas Lustiges sagt. Oder etwas Trauriges. Oder dass man überhaupt vergisst, über alles nachzudenken.

21:11

Psychiatriekritik wäre doch ein gutes Thema *g*

21:11
»Jedes Mal, wenn sich in einem Raum, in dem ich mich aufhielt, eine Person befand, die mein Leben zur absoluten Hölle auf Erden machen konnte, pickte ich mir genau diese Person heraus, hoffte, dass sie sich auf ein Gespräch mit mir einlassen würde, war mir sicher, das fehlende Teil zu meinem Puzzle gefunden zu haben, sah Bilder in meinem Kopf, wie wir gemeinsam aufwachen, von unseren Kindern und unseren Grabsteinen nebeneinander fünfzig Jahre später, und ich glaubte ehrlich, dass es genau so sein musste.«

21:11
Schreibt Mark Oliver Everett in seiner Autobiographie »Glückstage in der Hölle«.

21:16
Everett könnte man als Verrückten bezeichnen. Als Außenseiter. Und mit Sicherheit hat er diverse Therapien hinter sich. Als er 19 war, ist sein Vater gestorben. Seine Schwester hatte sich umgebracht. Seine Mutter erkrankte an Krebs. Da könnte man verrückt werden – oder sich, pathetisch ausgedrückt, mit Musik retten. Und ist Kunst nicht die beste Behandlung für die Seele?

21:18
Im Übrigen ist der Untertitel von Everetts Autobiographie: »Wie die Musik mein Leben rettete«. Womit eigentlich alles gesagt ist.

21:20
Das Schlimmste am Schreiben ist nicht das Schreiben selbst, sondern die Schere im Kopf. Ich könnte so viele charmant-böse Anekdoten erzählen, aber dann denke ich mir, dass ich mir damit selbst in Knie, Bein oder in den Arm schießen würde, wenn ich sowas öffentlich ausbreiten würde.

21:22
Mark Oliver Everett schreibt einleitend: »Das Folgende ist eine wahre Geschichte. Einige Namen und Haarfarben wurden geändert.«

21:23
Ich sollte diese Geschichten verfremdet aufschreiben. In einem Roman. In einer Kurzgeschichte. Einer Fabel. Tiere gehen immer.

21:25
Was mich zu Maxim Biller bringt.

21:28
Leider habe ich seinen Roman »Esra« nicht gelesen, und jetzt sind die Möglichkeiten dafür auch eher begrenzt, weil der Roman nicht mehr aufgelegt wird. Die Ex-Freundin von Biller hatte wegen diverser Details aus ihrer Beziehung gerichtlich durchgesetzt, dass »Esra« nicht mehr verkauft werden darf.

21:30
Wie auch immer. Ich hätte da ein paar lustige Geschichten parat über seltsame Dates und verrückte Geschichten aus meinem Leben.

21:31
Aber das lassen wir lieber, die Gründe dafür habe ich weiter oben ausgebreitet.

21:35
Außerdem fange ich gerade schon wieder an, mich zu wiederholen. Darüber, was ich mich nicht traue, zu schreiben, habe ich schon einmal geschrieben. Mit demselben Beispiel. (http://kolumnen.de/kolumnen/frommann/frommann-230809.html) Nun ja, Ideen wachsen halt nicht an Bäumen. War halt mal wieder Zeit für eine Zweitverwertung.

21:39
Überhaupt Kreativität. Ist doch überbewertet. Ich habe eine Reportage hier rumliegen, die ich nur zuende schreiben müsste. Alles ist ausrecherchiert. Ich müsste nur meinen inneren Schweinehund überlisten und sie runtertippen. Und mache ich das?

21:39
Nein.

21:40
Kreativität ist unwichtiger als Motivation. Da kann man noch so kreativ sein – ohne Motivation ists einfach nur irgendwas, was nicht aus dem Kopf will.

21:44
Von einem Gedanken zum nächsten springen und dann wieder zu einem anderen – meine Magisterarbeit habe ich über Montaigne geschrieben, den Erfinder der Essays. Und so hat er seine Essays, seine Versuche, auch geschrieben – indem er von einem Gedanken zum nächsten gesprungen ist. So hatte er vorgegeben, dass er sich selbst beim Denken beobachten würde.

21:46

Ich habe einen Roman angefangen. Zum dritten Mal. Mit den ersten Anfängen hatte ich mich nicht mehr anfreunden können, mein Stil hatte sich im Laufe der Jahre, in denen ich irgendwann zu unmotiviert gewesen bin, weiterzuschreiben, zu stark verändert. Darin gibt es ein Kapitel, das »Wie man das Denken stoppen kann« heißt.

21:46
Und wie kann man es stoppen?

21:46
Mit Alkohol.

21:47
Drittes Glas Wein.

21:53

Prost!

21:55
Wisst Ihr, irgendwie merke ich gerade, dass das hier nicht meine Idee ist.

21:56
Ich habe einfach so angefangen zu schreiben – und eigentlich hatte ich ganz konventionell für mich allein in meinem einsamen Kämmerlein eine Kolumne schreiben wollen. Und jetzt haue ich öffentlich Kram raus und weiß selbst nicht, wohin das führen wird.

21:57
Im Moment lese ich »Lisa«, den neuen Roman von Thomas Glavinic. Ein Mann redet öffentlich per Internet darüber, dass er von einer Massenmörderin verfolgt wird. Der gesamte Roman ist ein Monolog.

21:57
Aber irgendwie ist das hier natürlich ganz, ganz anders. Originär. Aber sowas von.

21:59
Muss das Tempo steigern. Bamm. Bamm. Bamm. Mal sehen, worüber ich gleich lallen werde. Wahrscheinlich über die Liebe und wie schlimm doch alles ist. Das Übliche eben. Ungefiltert.

22:06
Und worum geht es hier eigentlich? Um nichts, verdammt. Ich blubbere irgendwelche Worte raus. Im Leben geht es um nichts. Hier geht es um nichts. In der Serie »Seinfeld« geht es um nichts. Das Nichts ist das Thema des 21. Jahrhunderts.

22:06
Ich muss mich korrigieren: »Seinfeld« ist längst abgedreht, das hat nichts mit dem 21. Jahrhundert zu tun. Vielleicht war das Nichts schon immer Thema. Mit dem Ergebnis, dass man niemals zu einem Ergebnis gekommen ist.

22:11
Viertes Glas Wein.

22:11
Ich sollte mich nicht davon distanzieren, was ich gemacht habe und auch nicht davon, was ich machen werde. Morgen werde ich darüber lachen, was ich heute Abend fabriziert habe. Oder mich schämen. Und alles löschen.

22:17
Solange niemand kopiert, was ich hier schreibe, ist es ein schönes Gefühl, alles auslöschen zu können, was man im Wahn eingetippt hat. Als wenn das alles nie geschehen wäre.

22:19
Hatte ich vorhin eigentlich versprochen, dass ich beim fünften Glas Wein rumpöbeln würde?

22:44
Zwischendurch hatte sich kurzzeitig mein WLAN verabschiedet. Aber wer braucht schon Technik? Und kennt Ihr dieses Gefühl? Dass man sich plötzlich allein fühlt, nur weil die Verbindung zu den sozialen Netzwerken weggebrochen ist? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich ist das bloß wieder so eine Macke von mir, weil ich so nerdig bin.

22:50
Vielleicht sollte ich einfach schlafen gehen. Vielleicht sollte ich so tun, als wenn ich intelligenter wäre als ich in Wirklickeit bin. Vielleicht hätte ich wirklich unter Menschen gehen sollen. Zwei, drei Bier trinken. Die Frau meines Lebens kennen lernen. Nach Hause gehen. Und zwanzig Jahre später in einer Doppelhaushälfte aufwachen.

22:50
Das ist heute alles nicht passiert, und vielleicht ist das auch ganz gut so.

22:51
Und ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich gegen Doppelhaushälften habe. Es hört sich nur irgendwie so spießig an.

23:03
Bevor ich in pseudophilosophischen Tümpeln wate, trinke ich lieber noch ein Glas Wein. Und beende das hier. Das wars dann wohl. Ich wünsche mir eine gute Nacht. Ihr Penner.

23:04
Versprechen darf man nicht brechen – beim fünften Glas Wein wollte ich pöbeln. Was hiermit geschehen ist.

23:06

So Till. Das Blatt ist voll. Und nein ich habe die 64 posts nicht gelesen...

23:07
Ende.