05.10.10

Till Frommann und Raymund Krauleidis

Gedanken aus dem Enddarm: Kakophonie des Nichts

Apropos Anfang: Wie fangen wir an? Schon andere haben sich diese Frage gestellt (Gott, Darwin, Ron Hubbard) und sind mehr oder weniger daran gescheitert. Wieso sollte es also ausgerechnet zwei relativ götterungleichen Kolumnisten gelingen, dieses grundlegende Problem der Philosophie zu lösen?

Gab es nicht weitaus gewichtigere Rätsel in ihrem Leben? Mussten sie sich auch noch mit Prosa auseinandersetzen, nur um am Ende oder bereits am Anfang zu merken, dass sie bei ihrem Vorhaben scheitern würden?

Doch was heißt scheitern überhaupt? Lässt sich Scheitern ganz banal als »Abwesenheit von Erfolg« definieren? Und wenn ja, so drängt sich dem versierten Leser unweigerlich die Frage auf, was ihm die Verfasser dieser Kolumne nun schon wieder sagen möchten! Die traurige Wahrheit: Sie wissen es nicht. Sie wissen nichts! Keinen Anfang, kein Ende, kein Dazwischen – Nichts!

Illustration von Bia Bösch

Illustration von Bia Bösch

Und es lebt sich gut in diesem Nichts. Nichts tut weh. Nichts, über das man grübeln müsste. Kein Inhalt. Kein Leid. Kein Pathos. Andererseits: Wer liest Texte ohne Inhalt? Ohne Liebe, Leid und Hass? Ohne Dinge, mit denen sich der Leser identifizieren könnte? Wie wäre es mit ein wenig Humor – und ein wenig Trauer?

Anderseits: Kommt es tatsächlich auf Inhalte an? Leben wir nicht vielmehr in einer Welt, die die Oberflächlichkeit und Inhaltsleere als oberste Maxime postuliert? In einer Welt, die sich ernsthaft für Individuen wie Daniela Katzenberger, Kader Loth und Paris Hilton interessiert? Führt dieses Phänomen die Suche nach einem Sinn nicht komplett ad absurdum?

Es reicht, Schlagworte zu setzen, denn das Wichtigste in diesen Zeiten ist es doch, Suchmaschinen zu füttern. Ich möchte mich jetzt zwar nicht damit brüsten, zu wissen, wie man beispielsweise Bing- oder Google-User auf die Seite zu locken versucht, aber höchstwahrscheinlich funktioniert das mit ganz simplen Mitteln. Ich hoffe, dass das mit einem kleinen Wort im vorigen Satz funktioniert. Na, gefunden? Und schon wieder haben wir ein paar Leser gewonnen – oder zumindest Klickvieh.

Doch das macht bekanntermaßen auch Mist! Falls es wider Erwarten immer noch nicht funktioniert haben sollte: Lady Gaga, Youtube, Ebay, Facebook, Megan Fox, Miley Cyrus, DSDS, Bushido. Haben wir noch irgendetwas vergessen? Und kommen Sie uns nun bitte nicht mit »Niveau«! Das rangiert im Ranking der beliebtesten Suchbegriffe leider nur auf Platz 453.321 – knapp hinter »Sandwich«. Damit ist jedoch nicht das gleichnamige belegte Brötchen gemeint.

Es gibt nur einige Dinge im Leben, die wichtig sind – und bei »Sandwich« bleibt es nicht aus, Hunger zu bekommen. Der Kolumnist steht von seinem Schreibtisch auf und öffnet den Kühlschrank. Joghurt? Irgendwie doch nicht. Dann lieber drei bis vier Gläser Weißwein. Dann schreibt es sich auch gleich viel besser. Noch ein Glas? Noch viel besser. Da mögen Moralisten aufschreien und sich echauffieren, doch angetrunken entstehen die besten Sätze, jawohl.

»Der alte Mann und das Meer« wäre ohne die Co-Autorschaft von Cuba Libre und Daiquiri bestenfalls ein »Jüngling im Tümpel« – wenn überhaupt. Und hätte Bukowski ein abstinentes Leben geführt, wären der Menschheit wohl einige ihrer tiefen Abgründe für immer verborgen geblieben. Drogen und Kreativität gehören nun mal leider zusammen. Das haben wir zumindest mal irgendwo gelesen. Selbst würden wir uns natürlich nie zu solchen Sätzen hinreißen lassen – schließlich sich wir ja politisch korrekt!

Jedenfalls behaupten wir das. Wir lieben unsere Eltern, unsere Verwandten und unsere Mitmenschen, wir sind tierlieb, wählen »Die Grünen« und sind gegen die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken. Wir leben vegan, beten vor dem Schlafengehen und schließen unsere geliebten Kollegen in unsere Gebete mit ein. Wir spenden für das Deutsche Rote Kreuz, für Greenpeace, die Caritas und »Ärzte der Welt e.V.«. Wir arbeiten ehrenamtlich für die evangelische Kirche. Und können leider lügen wie gedruckt.

Damit befinden wir uns in bester Gesellschaft: Niemand hatte je die Absicht, eine Mauer zu errichten, die Renten sind sicher und Jan Ulrich hat natürlich ebenso wenig gedopt wie Bill Clinton eine sexuelle Beziehung zu Frau Lewinsky unterhielt. Die Wahrheit liegt immer dazwischen. Zwischen Himmel und Hölle, zwischen Monica und Bill und natürlich auch – gut versteckt - zwischen den Zeilen dieser Kolumne. Doch jetzt wollen wir ausnahmsweise einmal ehrlich zu Ihnen sein. Schonungslos. Sind Sie bereit?

Wir sind übersensible Männer, die heimlich in der Dunkelheit weinen. Jetzt, wo es raus ist, geht es uns schon viel besser, die nächste Therapiestunde können wir uns sparen.

Aber zurück zum Anfang und der allesentscheidenden Frage »Wie fangen wir an?«
Bedarf es nach 4.760 getippten Zeichen (sofern sich meine Textverarbeitungssoftware nicht irrt – Sie dürfen gerne auch selbst nachzählen!) überhaupt noch eines Einstiegs? Haben wir mittlerweile nicht schon alles gesagt, was es zu sagen gibt – ohne jemals damit angefangen zu haben?

Ja, das haben wir.